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 Materialien
 Dr. Fritz Lettenmeyer (1891-1953)
 Aus Tagebüchern
 Verlust der Wohnung und Abreise aus Kiel (Juli 1944)

2.8.1944: Abseilen der Möbel, Fund des letzten vermißten Brockhausbandes

Gutes Wetter geworden. Ich begann allein mit dem Abseilen der Schlafzimmermöbel. Erst die schweren Bretter der Bettstellen. (Neulich habe ich gelesen, daß es in Japan in Stuben und Hotelzimmern keine Betten gebe, daß nur über Nacht Kissen ins Zimmer gelegt würden.) Dann die großen Einsatzteile der Drahtmatratzen. Gegen 10 Uhr kamen fünf junge Soldaten mit einem Obermaat. Von 7-10 Uhr waren sie auf dem Adolf-Hitler-Platz gestanden, wo die Einteilung der einzusetzenden Kräfte stattfindet. Zwei und später drei bekam ich zur Hilfeleistung. Es waren 16- und 17-Jährige, die erst vor 14 Tagen in die Uniform gesteckt worden waren. Sie hatten guten Willen, aber keine großen Kräfte.

Wir seilten nun die Stoffmöbel des Musikzimmers ab. Den kleinen Sessel, den schweren großen Sessel, den runden Tisch, dann das Sofa. Dieses war kaum über den Rand des Balkongeländers zu bringen und wir mußten die emporstehende Stange wegmachen, um Platz für das Darüberhinausheben zu erhalten. Nun hatten die Jungen schon einige Übung und es kamen Käthes Schreibschrank und der Schrank vom Mädchenzimmer dran. Ich mußte nur beim Hinüberheben mithelfen, sonst machten sie es allein. Käthe, die den ganzen Vormittag im Hof Teppiche ausklopfte, machte unten die komplizierten Verschnürungen der abgeseilten Stücke los. So wurde es 12 Uhr. Ohne mein 30 m-Seil hätten wir nichts machen können. Das Treppenfenster ist kaum 60 cm breit, nicht einen Stuhl bringt man durch. Die Soldaten waren mit der Absicht gekommen, die großen, im Trümmersturz hängenden Wände und Fußböden herunter zu zerren; dazu sollte ich mein schönes Seil hergeben, was ich aber bestimmt verweigerte. Es wäre sicher kaputt gegangen und wir hätten für die Möbel nichts mehr gehabt.

Die anderen Soldaten haben dort aufgeräumt, wo vorige (?) Nacht vor der Wohnungstür des 1. Stockwerkes das herausgewölbte Stück der Mauer auf den Absatz des Treppenhauses hereingestürzt war; man hatte kaum mehr vorbeiklettern können. Und sie haben noch allerhand Sparrenwerk heruntergezogen, das ins Treppenhaus herein- und herunterhing. Nun ist der Aufstieg zu unserem 3. Stock weniger gefährlich, hatten wir doch jedesmal die einsturzdrohenden Stellen wie die Katzen schleichend passieren müssen. Dazu die locker hängenden und schwankenden Treppenstücke.

Über Mittag war ich im "Bruch". Man macht sich furchtbar staubig und schmutzig. Der Höhepunkt des Nachmittages war, daß ich den letzten Brockhausband fand. Ich hatte mich zwischen die zwei schräg herabhängenden Fußböden, wo die beiden letzten Bände zum Vorschein gekommen waren, noch einmal hinaufgeschoben und riß hinter einer eingeklemmten Tür, die parallel mit den riesigen Platten lag, unseren grünen Rollvorhang heraus und da steckte er tief drin. Als ich es später Käthe mitteilte, sagte sie: "Da hättest Du auch was Gescheiteres retten können", in abschätzig-kühlem Tonfall.

Von M.'s zog ich bei dieser Gelegenheit einen großen Teppich heraus. So staubig wie diesen Abend war ich noch nie.

Die Musikzimmer-Möbel wurden durch die Gärten ins "Martiushaus" hinauf getragen, immer zu viert angefaßt. Die Betten-Teile bis ins Geologische Institut. Weiterhin an diesem Nachmittag auch den ganzen Inhalt des Zimmers bei H. dort hinauf getragen (das große Sofa von den drei Soldaten; all das viele Übrige, was sich in dieser Woche angesammelt hatte, von Käthe und Lore). Bis spät abends dauerten unsere Transporte, bis endlich alles in dem Zimmer des Geologischen Institutes untergebracht war. Wir hatten Prof. G. angetroffen und die Erlaubnis erhalten, "bis Beginn des Wintersemesters" dort zu bleiben. Das Sofa hatten wir in ein ganz kleines Zimmer gestellt; da drauf schläft nun Lore. In dem anderen Zimmer stehen die zwei Betten, Käthes Schreibschrank und zwei Stühle. Damit ist es ganz voll. Der Mädchenschrank steht auf dem Vorplatz. Da im Geologischen Institut die Geographen sich schon sehr ausgebreitet haben, steht jetzt überall alles voll. Und S. (Vorgeschichte) hat auch Räume belegt.

Schlimm war es gestern mit Durst. Es gibt kein Wasser, die Soldaten hatten keine Gelegenheit, etwas zu trinken, ich ließ ihnen nachmittags von Lore Mineralwasser holen. Ein Glück, daß man das in der Nähe noch kaufen kann.

Von 22-6 Uhr haben wir im neuen Zimmer gut geschlafen. Ich stehe immer um 6.30 Uhr (Sommerzeit) auf.


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Letzte Aktualisierung am 28. Januar 2018

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