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Home Verlust der Wohnung und Abreise aus Kiel (Juli 1944) 4.8.1944: Im Bunker; Gedanken über die Sinnlosigkeit 6.8.1944: Transportarbeiten
 Materialien
 Dr. Fritz Lettenmeyer (1891-1953)
 Aus Tagebüchern
 Verlust der Wohnung und Abreise aus Kiel (Juli 1944)

5.8.1944: Auffindung eines Taschenmessers

22 Uhr. Zum ersten Mal am Tag setze ich um diese Zeit meine Lesebrille auf. Vormittags verbrachte ich kostbare Stunden im Rathaus. Nun ist tatsächlich unsere Wohnung als "in den hinteren Räumen bewohnbar" erklärt worden. Nur weil der Beamte zu faul war, sich die Treppen hinaufzubemühen und nachzusehen, wie es bei uns aussieht. Er dachte wohl, wir könnten unsere Wohnung ebenso leicht erreichen wie den 1. Stock. Alles Reden war zwecklos, diese "Feststellung" ist allein gültig. Man müßte täglich kommen und bohren.

11.30-14.00 Alarm. Wir waren oberhalb des Bunker-Einganges auf Treppenstufen sitzen geblieben. Es kam kein Angriff, wir ersparten uns so wenigstens die Stufen im Bunker. Nachmittags Aufräumarbeit in der Wohnung. Nun sind noch Stöße von Büchern im 1. und 2. Stockwerk und sogar im Erdgeschoß. Zwei Stunden verbrachte ich allein mit dem Reinigen von zwei Brockhausbänden, wo ich tatsächlich jede der zweimal 800 Seiten abfegen mußte. Ich sollte es ja nicht tun; denn wenn sie doch noch verloren gehen, ist die Arbeit umsonst gewesen. Und wohin könnte ich die Bücher in Sicherheit bringen? So ging es mit vielerlei Arbeit bis 22 Uhr weiter. Im Keller brennt wieder kein Licht. Lore hat sich ein Bad bereitet. Holz als Heizmaterial im Überfluß! Jetzt ist gar kein Waschwasser mehr da. Das Wasser, das wir heute an der unteren Ecke der Hohenbergstraße geholt haben (wo ein Hahn im Garten noch etwas hergibt) ist sehr trübe. Auf der Straße liegen die Körper der Blindgänger. Das Mittagessen war zu wenig, zwei Teller sehr gute Erbsensuppe.

Nun habe ich in der Wohnung ein Taschenmesser gefunden. Meines war auf unerklärliche Art in der H.'schen Wohnung verschwunden. Heutzutage ein schlimmer Verlust. Ach, es gibt so viele Dinge, auf die man ständig ein Auge haben muß. In unserem Zimmer hier ist nicht ein Nagel oder Haken, um etwas aufzuhängen. Aber seit Jahren kann man nicht einen Hut- oder Kleiderhaken kaufen. Das Wetter ist jetzt dauernd trocken und heiß. Wehe, wenn es wieder regnet, dann wird vieles durchweicht, was noch in der Wohnung herumliegt. Ich werfe jetzt Stöße meiner Bücher und Papiere hinüber in das ausgebrannte Nachbarhaus. Reinigen wäre viel zu zeitraubend, viele sind es nicht wert, und so schmutzig kann man sie gar nicht aufstapeln, bei jeder Berührung regnet es Sand und Staub heraus.


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Letzte Aktualisierung am 28. Januar 2018

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