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Home Verlust der Wohnung und Abreise aus Kiel (Juli 1944) 29.8.1944: Verpackung und Abtransport der übriggebliebenen Habe 1.9.1944: Nach der Ankunft in Hof
 Materialien
 Dr. Fritz Lettenmeyer (1891-1953)
 Aus Tagebüchern
 Verlust der Wohnung und Abreise aus Kiel (Juli 1944)

30.8. und 31.8.1944: Die letzten Tage in Kiel

Mi. 30.8.1944 Wieder keine Nacht Ruhe. Schon nach dem Voralarm mußten wir ja angezogen sein. Dann kam zweimal Alarm. Erst gegen 3.30 Uhr kamen wir zur Ruhe. Um 6 Uhr wachte ich naß von Schweiß und mit Kopfschmerzen auf. Ich war immer nur vor dem Bunker gesessen und es war schon merklich kühl. Früh ein hastiges Weiter- und Zuende-Packen. Käthe hat eine bewundernswerte Übersicht über die vielen Kleinigkeiten, die noch herumliegen. Um 8 Uhr kam O. Er ist uns eine Beruhigung. Wir warten auf den Wagen, der nicht kommt. Um 9.30 Uhr fuhr ich auf die Kreisleitung und mußte erfahren, daß der Wagen aus Versehen erst für den nächsten Tag bestellt war.


Do. 31.8.1944 Wir hatten zwei Matratzen B.'s auf den Boden gelegt und haben drauf zu dritt geschlafen, hatten auch Decken. Natürlich ganz angezogen. 22-24 Uhr immerwährend Voralarm und Vorentwarnung, sodaß sich kein Mensch mehr auskannte. Alle außer uns sind in den Bunker gegangen; wir sind liegen geblieben. Dann schaute ich alle fünf Minuten auf die Uhr, denn Käthe und Lore wollten um 5.23 Uhr fahren. Vor 4 Uhr standen wir auf. Ich trug das Gepäck mit zum Bahnhof. Sie bekamen noch Plätze. Ich mit meinem schmerzenden Fuß wieder zurückgelaufen, aus dem Zimmer alles Zeug wieder hinausgetragen (auch zwei Liegestühle hatte B. hergegeben, aber wir haben sie nicht benutzt), mußte lange auf Teewasser warten. Mein Rest echten Tees ist in diesen Wochen fast zu Ende gegangen. Aber das ist halt die einzige Erfrischung, die ich habe; auch gut für meine Kopfschmerzen. Zu trinken gibt es ja überhaupt nichts außer Wasser aus dem Klinikbunker. Nun muß ich noch auf die Polizei und auf das Wirtschaftsamt, da werde ich lange stehen müssen, dann mein Rad zum Güterbahnhof hinausfahren und zu Fuß zurück, dann mit meinem Gepäck zum 14.58-Zug. Ob ich das alles machen kann in diesen paar Stunden?

An diesem Vormittag bin ich noch viel mit dem armen Rad herumgefahren. Zu einem Bezugsschein für Schuhe hat es nicht mehr gereicht, da hätte ich stundenlang warten müssen. Allerdings hätte ich mit Sicherheit einen bekommen. Bei Muhlau habe ich noch einige Bücher bekommen, die hierher (nach Hof) nachgeschickt werden. Nochmals den vor kurzem gekauften und dann gleich verbrannten Eichendorff und Kleist, und einiges antiquarische. Diese antiquarischen Bücher stammen aus der neuerdings in Kiel begonnenen Sammlung, wonach Privatleute alte Bücherbestände zugunsten von Bombengeschädigten bei Buchhändlern abgeben sollen. Bei Weselmann habe ich einige Pfund Rauchfisch bekommen, dadurch war ein großer Teil meines Rucksackes in Anspruch genommen. In ganz Kiel sind keine sechs Ladengeschäfte mehr offen. Ich kann nur immer wieder sagen, daß vom Bahnhof bis zu unserer ehemaligen Wohnung so gut wie jedes Haus zerstört ist.

Dann hat es noch geregnet, leise, aber ständig. Mein Rad habe ich in der Nähe des Bahnhofs bei Spediteur Mordhorst aufgegeben (nach Hof), um nicht mehr vom Thonberg (Güterbahnhof) hereinlaufen zu müssen (wo ich die Frachtgutsachen aufgegeben hatte). Es langte gerade noch zu einem Teller Suppe bei B. Dann los von der Hohenbergstraße: in der einen Hand meinen Fluchtkoffer, in der anderen Schreibmaschine und Aktentasche, dazu den umfangreichen Rucksack (Teekanne, die Flasche mit dem Rest des von O. ausgetrunkenen "Korns", das Fisch-Zeug (Bündel mit einigen Pfund geräucherte Fische), alte Wäsche, einen Topf mit fünf harten Eiern und wer weiß was alles noch). Meine schweren Marschstiefel hatte ich angezogen, die Halbschuhe mußten beide im Geologischen Institut bleiben, mangels Platz in meinem Handgepäck, die alte schmutzige Kletterhose und die noch schmutzigere Windjacke hatte ich an, einen unmöglichen Winterhut auf. So bin ich von Kiel abgereist. Ich bekam Platz, nur von Leipzig bis Plauen mußte ich, wie schon öfter, stehen. Gegen 4 Uhr früh landete ich in der Westendstraße (in Hof), halb verdurstet und sehr hungrig. Ich aß gleich von dem Rauchfisch und trank drei Flaschen Bier.


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Letzte Aktualisierung am 28. Januar 2018

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