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Home Verlust der Wohnung und Abreise aus Kiel (Juli 1944) 30.7.1944: Vom undichten Dach und geretteten Brockhausbänden 1.8.1944: Behördengänge und Amtsbesuche
 Materialien
 Dr. Fritz Lettenmeyer (1891-1953)
 Aus Tagebüchern
 Verlust der Wohnung und Abreise aus Kiel (Juli 1944)

31.7.1944: Über Dachplattendiebstähle und Schmutz im Haus

Früh stellte sich heraus, daß in der Nachbarschaft arbeitende Dachdecker einfach von unserem Haus Schieferplatten abgedeckt und gestohlen hatten. (Sowas war alltäglich trotz der angedrohten strengen Strafen bei Plünderung jeder Art. Ich erinnere mich, daß ich nicht den Mut hatte, aus dem zerstörten Musiksaal der Universität ein paar der zu Dutzenden herumliegenden Sitzbrettchen der Klappsitze mitzunehmen, um damit zu Hause die zerbrochenen Fenster zu vernageln.) Nun regnet es noch mehr durch. Lore hatte die Leute noch gesehen, aber mir erst später davon Mitteilung gemacht. Vielleicht gut, denn in meiner Wut wäre ich imstande gewesen, auf die Kerle zu schießen.

B. hat mir geholfen, nach den fehlenden Brockhausbänden zu suchen. Er fand einen, und ich dann einen zweiten. Jetzt fehlt nur noch einer. Er muß doch in der Nähe sein, wo alle lagen!

Ich versuchte, Frau L.'s großen Teppich auszugraben, der zur Hälfte in dem herabgestürzten Zeug verklemmt ist, aber es gelang mir nicht. Nur das Hemd habe ich mir dabei naßgeschwitzt. Ich habe keine Bürste, keine Seife, zu wenig Wasser zum Säubern. Von dem Schmutz im Haus macht man sich keinen Begriff. Auf den Treppenstufen steht noch Wasser, zu einem nassen Brei vermischt mit dem Schuttstaub, der alles bedeckt. Wo ich an mich hinklopfe, staubt es heraus. Für das Frühstück ein Restchen Spiritus geopfert. Lore war im Rathaus und hat einen Bezugsschein auf 1 l Spiritus bekommen. Das hatte über eine Stunde gekostet. Aber in keinem Geschäft bekam sie damit etwas.

Kein Bleistift, kein Papier, kein Notizbuch, kein Taschenmesser, kein Schraubenzieher, maßlos schmutzige Schuhe an den Füßen. Und Fußschmerzen.

Wieder umsonst im Geologischen Institut angefragt. Aber bei dieser Gelegenheit vier Brockhausbände hingetragen. Zum Mittagessen mußten wir warten. Ab heute muß man Lebensmittelmarken abgeben: 50 g Fleisch, 20 g Fett und 50 g Nährmittel für eine Person und zwei Tage. Es gab Erbsensuppe mit einigen Fleischbrocken darin. Ich aß 2 1/2 Teller (eigentlich sollte man nur 2 bekommen) und war noch nicht satt. Sonst habe ich heute überhaupt noch nichts gegessen. Aber Tee hatte ich mir früh gemacht. Lore hat nichts Flüssiges zum Frühstück gehabt. Jetzt nach dem Mittagessen sitze ich in dem unwohnlichen Zimmer, habe ein altes Hemd angezogen, das etwas trocken ist (es hängt seit zwei Tagen in dem Zimmer) und will endlich einmal Zeitung lesen.


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Letzte Aktualisierung am 28. Januar 2018

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